Sep + Sergio

Mit einer ungewöhnlichen Kombination aus belgischer Kraft und kolumbischem Können im Seitenwind gingen Sep Vanmarcke und Sergio Higuita bei Paris-Nizza eine schlagkräftige Partnerschaft ein. Wir trafen die zwei Fahrer und ließen uns erklären, wie ihr Gespann aus Zugmaschine und Anhänger funktioniert und wie sie die aktuelle Rennpause verkraften.

Paris-Nizza ist für sich genommen ein bedeutendes Rennen, aber auch ein wichtiger Schritt für Fahrer, die später in der Saison die großen Rundfahrten anpeilen. Doch in einem Radsportfrühjahr, das durch das Coronavirus vorzeitig beendet wurde, war das diesjährige Rennen zur Sonne das letzte vor einer Spielpause, die sich lange hinziehen könnte.

Zwar holte sich Maximilian Schachmann den Gesamtsieg, doch das Bild von Sergio Higuita von EF Pro Cycling, unverwechselbar in den Farben des kolumbianischen Meisters, dürfte vielen Fans besonders lange im Gedächtnis bleiben. Von den windumtosten Auftakt-Etappen im nordfranzösischen Flachland bis zur Bergankunft am Samstag war Sergio immer zur Stelle, wenn es drauf ankam.

Nach guten Top-Ten-Platzierungen während der ganzen Woche beendete Higuita das Rennen schließlich als Dritter auf dem Podest – ein weiteres ermutigendes Ergebnis für einen Fahrer in seinem ersten Jahr auf WorldTour-Niveau. Kürzlich sprachen wir mit beiden Fahrern über ihre bravouröse Leistung und die – hoffentlich – kommenden Rennen.

„Letztes Jahr bin ich nur ein paar Rennen mit Sergio gefahren“, sagte Sep und dachte kurz nach. „Paris-Nizza war das erste Rennen, das ich mit ihm als Kapitän fuhr. Ich wusste nicht, wie er sich verhalten würde in einem nervösen Feld an einem Tag mit Seitenwind, denn die meisten Kletterer haben etwas weniger Selbstvertrauen und Beschleunigung. Das bedeutet, dass sie oft das Hinterrad verlieren.“

Doch seit er bei der letztjährigen Tour of California mit seinem zweiten Gesamtrang auf sich aufmerksam machte, hat der Kolumbianer gezeigt, dass er weit mehr ist als ein federgewichtiger Kletterer. Als beständiger Zeitfahrer war er Vierter bei der U23-Weltmeisterschaft in Yorkshire, womit er bewies, dass es mehr braucht als ein bisschen schlechtes Wetter, um ihn aus dem Konzept zu bringen. Paris-Nizza erbrachte einen weiteren Beweis seiner umfassenden Fähigkeiten.

„Auf den frühen Etappen von Paris-Nizza war die Hilfe meines Teams absolut fundamental.“

– Sergio Higuita

In Bezug auf das Rennen sagte Sergio folgendes: „Die Straßen in Europa sind viel komplexer als in Kolumbien – sehr schmal und kurvig. Auch das Wetter ist immer ein Faktor – der Wind kann zeitweise sehr stark sein. „In früheren Rennen habe ich ganz gute Erfahrungen mit dem Seitenwind gemacht, doch auf den frühen Etappen von Paris-Nizza war die Hilfe meines Teams absolut fundamental.“

Schon vor dem Start hatte Higuita die Unterstützung seines Teamkollegen und Landsmannes Dani Martínez, der bei Paris-Nizza 2019 einen spektakulären Sieg auf dem Col de Turini gelandet hatte. „Ja, er hat mir alles über dieses Rennen erzählt“, erklärte Sergio mit seinem typischen Lächeln. „Dani half mir dabei, mich psychologisch darauf vorzubereiten, wie ich es angehen musste, denn es ist jeden Tag ein wirklich hartes Rennen.“

Sobald das Rennen losgegangen war, war es an den Klassikerspezialisten des Teams, ihren kolumbianischen Kapitän zu beschützen. Sep war der Anführer: „Die ersten drei Tage von Paris-Nizza sind immer stressig mit Seitenwind, Regen und kaltem Wetter. Dieses Jahr war es nicht anders, aber Tom Scully, Alberto Bettiol und ich hielten Sergio jeden Tag an der Spitze des Rennens.“

„Als ich hörte, dass Sergio zehn Jahre jünger ist als ich, fühlte ich mich alt.“

– Sep Vanmarcke

Die Arbeit eines guten Teamgefährten endet nicht am Zielstrich, und wie Sergio uns erzählte, spielten seine Kollegen bei EF Pro Cycling auch eine wichtige Rolle dabei, dass er zwischen den Etappen ruhig und entspannt blieb.

„Ich teilte das Zimmer mit Alberto Bettiol, ein Fahrer mit richtig viel Klasse, der eine tolle Ausstrahlung hat. Er ist einer, der im Zimmer gute Stimmung verbreitet und mir dabei hilft, ruhig zu bleiben. Mein Verhältnis zu Sep ist auch sehr gut. Was ich an ihm besonders mag, ist seine Persönlichkeit – er ist ein guter Mensch, bescheiden und erfahren.“

Sep für seinen Teil gibt das Kompliment gleich zurück, auch wenn er sich durch Sergio der Tatsache bewusst wird, schon Anfang dreißig zu sein. „Als ich hörte, dass Sergio zehn Jahre jünger ist als ich, fühlte ich mich alt. Aber es macht mir nichts aus. Wenn du mit einem Riesentalent wie Sergio arbeitest und er ist wirklich nett, möchtest du ihm wirklich durch die Rennen helfen.“

Danach gefragt, wie Higuita im Vergleich mit anderen Klassementfahrern im Seitenwind klarkommt, war Seps Antwort eindeutig: „Er war regelrecht an uns festgeklebt“, rief er aus. „Wo auch immer Tom und ich fuhren, er war an uns dran! Es machte alles, was wir sagten, und wenn wir uns bewegen wollten oder mussten, hatte er Vertrauen und folgte uns.“

„Das erleichtert uns wirklich die Arbeit, und außerdem fühlst du dich als Helfer bedeutender, wenn dir dein Kapitän ohne Wenn und Aber folgt. Am Ende gibt du noch mehr und leidest mehr, damit er vorne bleiben kann.“

Was also tut Sep genau, um seinen Kapitän gut platziert vorne im Peloton zu halten? Handzeichen? Keine plötzlichen Tempowechsel? Wir fragten ihn, wie er als Helfer für einen Teamkollegen fährt.

„Es ist immer leichter, wenn man sich gut kennt; dann kannst du dich gut darauf einstellen, wie dein Kapitän gerne fährt. Es können sich immer Windstaffeln bilden, deshalb ist es wichtig, aggressiv zu fahren und immer obenauf zu sein. Wenn du für jemanden arbeitest, muss du natürlich sicherstellen, dass du nicht nur selbst nach vorne fährst, sondern mit ihm an deinem Hinterrad.“

„Das heißt, dass du mehr Platz schaffen musst, damit auch er vorbeikommt. Nach einer Kurve sprintest du erst, wenn du weißt, dass er noch an deinem Hinterrad ist, und wenn der Seitenwind anfängt, fährst du nicht bis ganz an den Straßenrand, sondern lässt etwas Platz, um sicher zu sein, dass dein Kapitän aus dem Wind ist.“

Sep mag eine Lücke lassen, wenn er als Helfer für einen Teamkollegen fährt, doch wenn es an die Frühjahrsklassiker geht, gibt er keinen Millimeter nach. Wie fühlt sich der Belgier Anfang April angesichts der Tatsache, dass die Flandern-Rundfahrt zum ersten Mal seit über 100 Jahren nicht stattfinden wird?

„Natürlich ist es traurig für einen Klassikerfahrer, ganz klar“, seufzt er. „Aber in dieser schweren Zeit will ich nicht klagen. Derzeit gibt es viel größere Probleme als Rennfahrer, die nicht bei ihren Lieblingsrennen starten können.“

Danach gefragt, was sein absolutes Lieblingsrennen ist, weigert sich Sep, eine Wahl zu treffen: „Für mich sind die Flandern-Rundfahrt und Paris-Roubaix gleich. Roubaix ist international berühmter und es liegt mir etwas mehr, aber Flandern ist mein Zuhause. Die flämischen Fans sorgen für eine unbeschreibliche Atmosphäre – beides sind meine Lieblingsrennen.“

Niemand weiß, wann der Rennbetrieb wieder aufgenommen wird, aber Sergio und Sep sind nicht besorgt darüber, den Schwung zu verlieren. Sergio möchte seinen Podestplatz bei Paris-Nizza genießen, sich ein bisschen entspannen und zuhause trainieren. Als erfahrener Kämpe stimmt Sep dem zu: „Weil wir nicht wissen, wann wir wieder Rennen fahren können, werde ich meine Form etwas abfallen lassen. Ich werde weiter fahren, um fit zu bleiben und sicher zu sein, dass ich nur zwei bis drei Wochen spezifisches Training brauche, um bereit zu sein, wenn wir wieder Rennen fahren können.“

„Natürlich ist es traurig, dass die Klassiker abgesagt worden sind, aber derzeit gibt es viel größere Probleme als Rennfahrer, die nicht bei ihren Lieblingsrennen starten können.“

– Sep Vanmarcke

Auf die Frage, wann er denkt, wieder fahren zu können, macht Sep deutlich, dass er die Klassikersaison 2020 noch nicht abgeschrieben hat. „Die Klassiker später im Jahre zu fahren wäre natürlich etwas Besonderes“, sagte er mit einem Lächeln. „Natürlich würde ich es im April bevorzugen, aber wenn wir die Monumente dadurch trotzdem fahren können, fahre ich sie auch gerne im Herbst. Kein Problem.“

EF GONE RACING

Im Bus. Zuhause. In Teamfahrzeugen und auf Berggipfeln. EF Gone Racing ist eine Serie auf YouTube, die mit dem Team auf die Reise geht – von den größten Straßenrennen der Welt bis zu den unbekannten Offroad-Abenteuern des alternativen Kalenders. Melde dich bei Raphas YouTube-Kanal an, um alle Episoden zu sehen.
 

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