Panache 2022

Zu Ehren der mutigsten und leidenschaftlichsten Radsportlerinnen und Radsportler 2022.

23 December 2022

Momente des Wagemuts, der Risikobereitschaft und des richtigen Timings machen den Radsport zum aufregendsten Sport der Welt. Bei Zehntausenden von Rennkilometern, die jedes Jahr von den Profis gefahren werden, sind es oft gerade diese flüchtigen Augenblicke, die zu unvergesslichen Momenten werden. Unvermittelte Angriffe, raffinierte Taktiken, herzzerreißende Stürze oder Gesten selbstlosen Sportsgeistes lassen die Fahrerinnen und Fahrer zu Legenden werden. Um der vergangenen Saison Tribut zu zollen, haben wir hier einige unserer liebsten Panache-Momente aus dem Jahr 2022 zusammengestellt.

TOM PIDCOCK

Tour de France, 12. Etappe

Mit einer immer häufiger anzutreffenden Demonstration disziplinübergreifender Fertigkeiten hat der Mountainbike-Olympiasieger und Cyclocross-Weltmeister Tom Pidcock im Alter von nur 22 Jahren seinen ersten Tagessieg bei der Tour de France errungen und war dabei der zweite Brite, der die Etappe nach L’Alpe d’Huez gewinnen konnte. Aber nicht nur die bloße Dominanz bei der Etappe, sondern auch der Stil von Toms spektakulärer Attacke in der Abfahrt hat ihm einen verdienten Platz bei den diesjährigen Panache Awards eingebracht. Mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 100 km/h holte er die Ausreißer ein, womit er sich als absolut souveräner Rennfahrer mit einem Selbstbewusstsein bewies, das sein junges Alter nicht vermuten ließ.

VERONICA EWERS

Tour de France Femmes, 8. Etappe

Vor der letzten Etappe der allerersten Tour de France Femmes lag die Berufsfahrerin Veronica Ewers von EF Education-TIBCO-SVB auf dem elften Platz. Sie war entschlossen, sich bei diesem bedeutenden Rennen einen Platz in den Top Ten zu sichern, und bei der sieben Kilometer langen Auffahrt zur Super Planche Des Belles Filles bot sich eine letzte Gelegenheit. An dem legendären und berüchtigten Anstieg in den Vogesen, der um einen extrem harten Abschnitt ohne Asphalt und eine besonders steile Bergankunft erweitert worden war, gab Veronica alles, um die Ziellinie als Siebte zu überqueren, was ihr in ihrem ersten Jahr als Profifahrerin am Ende den neunten Platz in der Gesamtwertung einbrachte. Das waren ihre Eindrücke vom Rennen:

„Ich bin wirklich begeistert über die Leistung, die mein Team und ich zeigen konnten. Es erfüllt mich mit Stolz, aber ich will mehr, denn ich weiß, dass ich mit so mancher Top-Fahrerin im Peloton mithalten kann. Nach wie vor bewundere ich die etablierten Frauen. Ein paar Mal habe ich mich hinter Marianne Vos eingereiht und war dabei nicht ansatzweise so cool wie sonst.“
– Veronica Ewers

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JONAS VINGEGAARD

Tour de France, 18. Etappe

Panache erfordert mehr als bloße Spitzenleistungen. Manchmal sind es gerade jene Momente echten Sportsgeistes, die wahre Radsportgeschichte schreiben. Das Gelbe Trikot verschafft Respekt, und trotz seiner Bedeutung möchte es kein Fahrer aus anderen Gründen als dem eigenen Verdienst gewinnen. Für Jonas Vingegaard bedeutete dies, dass er auf die Chance verzichtete, seinen Vorsprung auf Verfolger Tadej Pogačar auszubauen, nachdem dieser in einer Abfahrt weggerutscht war. Vingegaard ließ rollen und wartete auf seinen Konkurrenten. Als Pogačar wieder zu ihm aufschloss, honorierte er diese Geste mit einem anerkennenden Handschlag – ein Ausdruck echter Integrität von jemandem, der das Trikot zu Recht auf seinen Schultern trägt.

ANNEMIEK VAN VLEUTEN

UCI-Straßenweltmeisterschaft

Annemiek van Vleutens Palmarès ist so beeindruckend und vielseitig, dass jeder Profi vor Ehrfurcht erstarrt. Als vierfache Weltmeisterin, Olympiasiegerin, dreifache Gesamtsiegerin des Giro d’Italia Donne sowie Siegerin der ersten Auflage der Tour de France Femmes im Jahr 2022 ist sie eine Radsportlerin, deren Talent seinesgleichen sucht – und für die harte Arbeit kein Fremdwort ist. Ihre vielleicht eindrucksvollste Demonstration der Leidensfähigkeit zeigte sie jedoch bei der diesjährigen Weltmeisterschaft. Nur wenige Tage vor dem 164,3 km langen Straßenrennen brach sich Van Vleuten bei einem Sturz den Ellbogen und verbrachte den größten Teil des Tages damit, ihre Verletzung zu behandeln. Doch dann – wie aus dem Nichts – attackierte von der Spitze weg und holte sich auf dem letzten Kilometer einen Überraschungssieg vor der Favoritin und Teamkollegin Marianne Vos. Manchmal bedarf es nur eiserner Entschlossenheit, um sich gegen alle Widrigkeiten zu behaupten.

MATEJ MOHORIČ

Mailand–San Remo

Als längstes Eintagesrennen im Profiradsport bietet Mailand–San Remo mit seiner größtenteils flachen Strecke Sprintern gleich zu Beginn der Saison die Möglichkeit, sich miteinander zu messen und die Muskeln spielen zu lassen. Und dank des oft heiß umkämpften Sprintfinales ist es längst zu einem Lieblingsrennen der endschnellsten Fahrer avanciert. Dementsprechend mangelt es La Classicissima nie an Dramatik, doch 2022 sollten wir etwas vollkommen Anderes erleben. Matej Mohorič setzte sich am Gipfel des Poggio ab und nutzte in der Abfahrt ein neues Hilfsmittel im Straßenrennsport: die absenkbare Sattelstütze. Zusammen mit seinen beeindruckenden Abfahrtskünsten trug der Einsatz dieser besonderen Vorrichtung, die normalerweise im Mountainbike-Sport beheimatet ist, dazu bei, den rennentscheidenden Vorsprung zu erzielen. Und wieder einmal schlägt die disziplinübergreifende Raffinesse zu.

FEM VAN EMPEL

Cyclocross-Saison

Von Zeit zu Zeit drängt ein Jungprofi an die Spitze des Sports und begeistert durch sein Talent. Und für die niederländische Profifahrerin Fem van Empel war 2022 das Jahr ihres Aufstiegs. Als erst zweite Fahrerin mit vier aufeinander folgenden Weltcupsiegen im Cyclocross eroberte sie die Saison im Sturm und hat sich schon jetzt verdientermaßen einen Platz bei den Panache Awards gesichert. Bei Redaktionsschluss hatte sie bereits sechs der 14 Rennen der Serie gewonnen und wurde bei allen übrigen Zweite. Mit einem nationalen Meistertitel bei den U23-Mountainbikerinnen und einer Reihe von Podiumsplatzierungen bei den bedeutendsten Crossrennen liefert sie ein weiteres Beispiel für disziplinübergreifende Dominanz – und mit gerade einmal 20 Jahren liegt ihr die Welt zu Füßen.

BINIAM GIRMAY

Giro d’Italia

Das Lustige an ersten Malen ist, dass sie oft alle auf einmal passieren. Und im Fall von Biniam Girmay war 2022 ein Jahr voller solcher Momente. Mit gerade einmal 22 Jahren gewann er als erster schwarzer Afrikaner eine Etappe des Giro d’Italia (und damit einer Grand Tour), als er Mathieu van der Poel auf der 196 km langen, welligen 10. Etappe von Pescara abhängte und als Erster über die Ziellinie rollte. Zu Beginn des Jahres hatte sich der junge Eritreer mit einem überzeugenden Sieg bei Gent-Wevelgem im März bereits in die Geschichtsbücher eingetragen – als erster afrikanischer Sieger eines belgischen Kopfsteinpflaster-Klassikers. Sein anderes erstes Mal? Auf das hätte er wohl lieber verzichtet. Bei der obligatorischen Siegerehrung auf dem Treppchen im Anschluss an die Etappe wurde Girmay vom Korken der Proseccoflasche direkt am Auge getroffen, was ihn dazu zwang, aus der Rundfahrt auszusteigen (aber keine Sorge – inzwischen ist alles wieder verheilt).

ZU GUTER LETZT…

Panache hat zahlreiche Facetten und beschränkt sich keineswegs nur auf WorldTour-Veranstaltungen oder hochdotierte Rennen. Auf unserer Suche nach leidenschaftlichem Radsport haben wir die Rapha-Athletin und Ultralangstrecken-Superfrau Lael Wilcox nach ihren schönsten Momenten des Jahres 2022 gefragt:

„Ich nominiere Ana Jager für das Erreichen der Triple Crown [Arizona Trail Race, Colorado Trail Race und die Tour Divide] in einer einzigen Saison. Sie kannte keinen einzigen Kilometer der Strecken und bewältigte sie komplett ohne Hilfe. In der Frauenklasse gewann sie dabei nicht nur die Tour Divide, sondern auch den Arizona Trail. Was für ’ne Nummer!“

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